Energiewende braucht Bewegung um Ökostrom real zu machen

Der Ausbau erneuerbarer Energien, Ökostrom und leistungsfähiger Stromnetze muss beschleunigt werden. Anderenfalls bleibt die Energiewende nur ein Begriff.

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Energiewende muss schneller werden
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Der Ökostrom sieht sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: Im Zuge von Energiepreisinflation und Energiekrise muss der Ausbau erneuerbarer Energien nun dringend beschleunigt werden. Doch mit Windparks und Solardächern allein ist die Energiewende noch nicht erreicht. Es braucht auch ein leistungsfähiges, intelligentes Stromnetz, das die zahlreichen dezentralen und schwankenden Produzenten mit den Verbrauchern koordiniert. Gleichzeitig gilt es, Strom aus dem windintensiven Norden in den industriereichen Süden zu transportieren. Die Stromtrassen dazu sind schon lange geplant – doch auch hier geht der Ausbau nur langsam voran.

80 Prozent grüner Strom, Energiewende stellt sich Bürokratie

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Gut 49 Prozent des im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland erzeugten Stroms stammte aus erneuerbaren Energien. Das ergaben die Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und des Stuttgarter Forschungsinstituts ZSW. Der Anteil bedeutet eine Steigerung um sechs Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Verantwortlich dafür waren gute Wind- und Solarerträge im Frühjahr – und eben nicht der Ausbau erneuerbarer Energien.

Den braucht es aber dringend, sollen die Klimaziele der Bundesregierung eingehalten werden. Und die besagen, dass der Anteil des aus grünen Quellen erzeugten Stroms bis zum Jahr 2030 auf mindestens 80 Prozent steigen soll. Das Problem: Seit Jahren geht es während der Energiewende mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien eher schleppend voran. Ausufernde Bürokratie, langfristige Genehmigungsverfahren, umfangreiche Regulierungen und vielfach Proteste gegen den Umbau der Energielandschaft verzögern die Energiewende.

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Windräder auf zwei Prozent der Bundesfläche

Um Deutschlands Stromerzeugung auf Grün umzustellen, braucht es signifikant mehr Strom aus Sonne und Wind, aus Wasserkraft und Biogas. Hier gilt es, die grünen Stromerzeugungsanlagen konsequent und schnell auszubauen. Das Gegenteil passiert aber gerade. Beispiel Windenergie: Sollen die Ziele der Bundesregierung bis 2030 erreicht werden, bräuchte es rund 16.000 neue Windräder, rechnet der BDEW vor. Jedes Jahr müssten etwa 1.500 bis 2.000 neue Windkraftanlagen entstehen. Im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Bundesverbands WindEnergie (BEW) aber nur 484 Anlagen.

Das Problem: Bereits seit 2017 lahmt der Ausbau der Windenergie. Damals hatte die Bundesregierung die Regularien zur Einspeisevergütung geändert, die Pflicht zu Ausschreibungen beim Bau von Windrädern eingeführt und Genehmigungsverfahren verkompliziert. Waren 2017 noch 1.792 neue Windkraftanlagen an Land mit einer Leistung von 6,6 Gigawatt ans Netz gegangen, so wurden seit den Änderungen nie mehr als 500 neue Windräder errichtet.

Das soll sich nun zwar wieder ändern. Mit dem neuen „Wind-an-Land-Gesetz“ will die Bundesregierung Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windräder beschleunigen und die notwendigen Flächen bereitstellen. So sollen bis zum Jahr 2027 etwa 1,4 Prozent der Landfläche, bis zum Jahr 2032 gar zwei Prozent der Landfläche der Bundesrepublik für Windräder ausgewiesen werden – das ist mehr als doppelt so viel wie bisher. Doch von der Flächenausweisung allein entstehen noch keine neuen Windräder. Für Anlagenbauer und Windparkbetreiber muss sich der Bau neuer Anlagen auch lohnen. Hier gibt es noch viel zu tun. Zudem dauert es heute von der Planung bis zum fertigen Windrad aufgrund von Bürokratie, unklaren Zuständigkeiten und mehrreihigen Genehmigungsverfahren oft mehr als zehn Jahre.

Auch Fachkräfte- und Ressourcenmangel sind eine Herausforderung für Ökostrom

Bürokratie und fehlende Flächen sind aber nicht die einzigen Probleme der Energiewende. Zum Bremsklotz wird nach Angaben des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) jetzt auch der Fachkräftemangel. So gibt es derzeit 151.300 offene Stellen für Ingenieure und Ingenieurinnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Einer Befragung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln zufolge erwarten 32 Prozent der Unternehmen und sogar 63 Prozent der Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten für die kommenden fünf Jahre einen steigenden Bedarf an IT-Fachkräften zur Entwicklung klimafreundlicher Produkte und Technologien. Allein in der Solarindustrie werden für die kommenden Jahre 50.000 neue Jobs erwartet.

Die Energiewende dürfe nicht daran scheitern, dass es nicht genug Handwerker, Kranfahrer oder Arbeiter in der Industrie gebe, die die Windkraftanlagen bauen, forderte zuletzt gar Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Doch genau das droht, schaut man auf die Zahl der Studienanfänger und Studienanfängerinnen in den Fächern Ingenieurwissenschaften und Informatik. Diese sei nach Angaben des IW Köln in den vergangenen fünf Jahren um rund 15 Prozent zurückgegangen. Daher sei mit sinkenden Absolventenzahlen und im Zuge dessen auch mit einer immer weiter auseinanderklaffenden Fachkräftelücke zu rechnen. Und auch im Handwerk sind die Ausbildungszahlen seit Jahren rückläufig.

Am Horizont macht sich noch eine weitere Herausforderung für den Ökostrom-Ausbau breit: Materialmangel aufgrund von Lieferengpässen wegen Lockdowns und Krieg, aufgrund immens steigender Rohstoffkosten, aber auch schlicht, weil die erneuerbaren Energien weltweit ausgebaut werden und daher Kupfer und Aluminium knapp werden.

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Das Stromnetz zukunftsfit machen

Doch der Ausbau grüner Energieerzeugungsanlagen ist nicht die einzige Herausforderung für den Ökostrom. Deutschland und Europa müssen auch das Stromnetz zukunftsfähig aufstellen. Produzierten bisher wenige zentrale Anlagen große Mengen Strom, den es an ein Netz von kalkulierbaren Abnehmern aus Industrie, Handel und privaten Verbrauchern zu verteilen galt, so ändert sich diese Energielandschaft mit Fortschreiten der Energiewende zusehends. Künftig werden wir ein riesiges Netz kleiner, dezentraler Energieerzeuger haben, die schwankende Mengen Strom liefern – je nachdem, wie stark der Wind gerade bläst und die Sonne scheint. Diese schwankenden Strommengen gilt es, so auf die Verbraucher zu übertragen, dass die Last im Netz ausgeglichen bleibt.

Möglich wird das zum Beispiel durch Speicher, die überschüssigen Strom aufnehmen und bei Dunkelflaute wieder ins Netz einspeisen. Das müssen nicht nur Großspeicher der Netzbetreiber sein. Möglich wäre es auch, die Akkus aller parkenden Elektrofahrzeuge als Pufferspeicher zu nutzen. Eine andere Möglichkeit, einen Lastausgleich bei schwankender Stromerzeugung zu schaffen, wäre es, in Zeiten hoher Stromproduktion mehr Verbraucher hinzuzuschalten. Dann könnte bei starkem Wind die vorbereitete Waschmaschine automatisch starten, ebenso die nicht ständig benötigte zusätzliche Produktionsanlage in der Fabrik. Damit das funktioniert, ist aber ein intelligentes, leistungsfähiges Stromnetz nötig, das schwankende Erzeugung und Verbräuche sowie Speichermöglichkeiten effizient und sicher koordinieren kann. Von einem solchen Stromnetz ist Deutschland meilenweit entfernt.

Mehrere tausend Kilometer Stromnetz fehlen

Das Stromnetz intelligent und zukunftsfähig aufzustellen, ist aber nicht die einzige Infrastrukturaufgabe für die Energiewende. Derzeit fehlen mehrere tausend Kilometer Hochspannungsleitungen. Der Grund: Während sich im industriereichen Süden der Bundesrepublik eher konventionelle Kohlekraftwerke befinden, kommt der Windstrom als größte Quelle erneuerbarer Energien vor allem aus Norddeutschland. Dieser Strom ist also im Zuge der Energiewende in den Süden zu transportieren – und das möglichst schnell und ohne Verluste.

Update 03.07.2023 – Kohlekraftwerke sind letztlich für den CO2 Austoß mitverantwortlich, doch aber birgt ein ehemaliges Kohlekraftwerk auch Chancen in der Engergiewende.

Verweis intern: Ob Stromnetz oder LNG Infrastruktur – oft ist eben genau die Infrastruktur, die Pläne für die Energiewende durchkreuzen.

Dafür sind aber neue Stromtrassen nötig. Allein die Stromtrasse SuedLink soll auf 700 Kilometern Windstrom von Nord- nach Süddeutschland bringen. Doch dieses Vorhaben stockt seit Jahren. Gegen diese und andere Stromtrassen formiert sich Protest: Bürger wollen die Stromleitungen nicht in ihrer Nähe haben, Kommunen, Landkreise, Länder und der Bund streiten über Zuständigkeiten und Finanzierung. Und so hält der Netzausbau nicht einmal mit dem eh schon hinkenden Ökostrom-Ausbau mit.

All das sind Herausforderungen für den Ökostrom, die die Bundesregierung dringend angehen muss, wenn Deutschland zeitnah frei von CO2-emittierenden Kraftwerken und Abhängigkeiten aus dem Ausland werden will.

Hier kannst du mehr über technische Gegebenheiten lesen – ggf. findest du hier noch weitere Informationen für dich.

Fazit Energiewende beschleunigen ist doch nicht so einfach

Bei der Energiewende hapert es an allen Ecken und Enden, der Ausbau erneuerbarer Energien hat sich spürbar verlangsamt. Schuld sind ausufernde Genehmigungsverfahren und wenig attraktive Einspeisevergütungen. Aber auch der Fachkräftemangel und Lieferengpässe schaffen immer neue Herausforderungen für den Ökostrom. Und nicht zuletzt müssen auch die Netze fit für die grüne Energiezukunft gemacht werden.

Update intern: Neben der Verlangsamung gibt es weitere Punkte, die auffallend sind. Vernetztes Denken und vor allem der Mensch, die Gemeinden und deren Existenzen dürfen nicht leiden.Windpark in Le Tréport: Fischer fürchten um ihre Existenz